Ihr fragt euch
sicher, warum ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr schreibe. Nein, es ist nicht
so, dass ich keinen Internetzugang habe. Dank des Wasserprojekts haben wir ja Strom
in Café Lompré (obwohl der teilweise ausgefallen ist, weil die Bauern Wasser für
die Felder brauchten – momentan herrscht Trockenheit- und so der Druck zu
niedrig war um Strom zu produzieren.)Nein, um ehrlich zu sein, hab ich keine
Zeit und Muse dafür. Ich nehme das Leben in Haiti anders wahr als die Male
zuvor. In 2011 und 2012 war ich eher Beobachter. Ich lief neben jemandem her,
der sich gut auskannte. Diesmal bin ich viel mehr alleine, fühle mehr, bin mehr
da. Ich spreche mit den Leuten, verbringe viel Zeit mit allen. Die Tage sind
auch so gefüllt, es passiert ständig etwas. Und meine Artikelliste wird immer größer.
Aber nun versuche ich doch schnell ein paar Einträge zu schreiben. Und um ehrlich zu sein, klappt das mit dem Blog auch nicht so gut. Irgendwie ist das Internet dafür zu langsam. Nunja, ich gebe mein bestes.
Mein Leben in Café
Lompré
Ich laufe die
Pfade von dunkelroter Erde entlang. Hier und dort sind kleine Holzhäuser vor
denen immer Menschen irgendeiner Arbeit nachgehen. Man grüßt sich mit einem
freundlichen „Bon-jou“ (vor 12Uhr) und Bon-swa“ (nach 12h), wobei zwischen den
beiden Wortteilen eine kleine Pause gemacht wird und dieses „Bon“ in seiner
ganzen Rundheit und Süße wie ein Bonbon im Mund behalten wird, bis es seinen
klingenden Ton entfaltet hat wie eine Glocke. Immer wieder klingt es
„Bon-swa!“.
In meinem deutschen
Einsiedlerleben bin ich diese menschliche Präsenz gar nicht mehr gewohnt. Aber
diese Freundlichkeit ist umwerfend. Es ist nicht so, dass man ständig
angesprochen und ausgefragt wird, wie ich das aus Lateinamerika kenne. Man
stellt hier weder viele Fragen zur Vergangenheit, noch ist die Zukunft sicher.
Hier scheint nur das Jetzt wichtig zu sein. Und deswegen fragt man auch jeden
nach seinem Befinden. Die Haitianer sprechen sich untereinander oft mit „Mein
Bruder/ meine Schwester“ an und es wird viel gelächelt, gewitzelt,
gesungen je nach Charakter und Laune. Heute
habe ich einen Mann gehört. Er war in der Ferne nur als roter Punkt zu
erkennen. Aber sein lauter Gesang schallte von der anderen Bergseite herüber.
Er sang und sang während er den Berg hinab stieg. „Vielleicht singt er vor
Freude, vielleicht auch vor Trauer“ meint mein Begleiter. Vor Trauer singen…
welch für uns fremde Art damit umzugehen.
„Couragiert“
würde ein Luxemburger die Lebensart der Haitianer nennen, „beherzt, mutig,
lebenstüchtig“ wäre die Übersetzung für die Eigenschaft dieser Menschen, die
ihrer Wege gehen und es immer schaffen ein Lächeln zu behalten. Die in den
ärgsten Katastrophen zusammenhalten.
Und das ist
vielleicht auch der Schlüssel… die Gemeinschaft trägt. Der Zusammenhalt der
Haitianer nach dem Erdbeben war unglaublich. Lange bevor die NGOs ankamen.
„Wir waren
alle im selben Boot“, erzählte mir unser Ingenieur als ich ihn zum Erdbeben
ausfragte.
Und auch wenn
ich hier bin wird viel gesprochen, telefoniert. Wo seid ihr gerade? Ist alles
gut? Kurze Meldungen, immer wieder versichern ob alles gut ist.
Für mich ist
das ein wenig fremd, ja nervt mich sogar. Für uns Europäer ist wichtiger, dass
dieses und jenes passiert. Für die Haitianer ist es wichtig, WIE es passiert
und dass man dabei immer auf die Gefühle des anderen achtet. Dass man dabei zu
spät kommen kann, ist dann eben so. Dafür ist man dann aber schick angezogen.
So hatten wir
einen kleinen Zusammenprall der Kulturen. Felix, unser Ingenieur Junior und ich
hatten am Donnerstag ein Treffen im Bildungsministerium. Junior kam 1 Stunde zu
spät. Dann mussten Felix und ich noch etwas ausdrucken. In dem Drucksalon
dauerte es eine geschlagene halbe Stunde 10 Seiten auszudrucken und dafür eine
Rechnung zu bekommen. Wir waren gestresst. Und dann hatten wir einen kleinen
Zusammenprall mit einem anderen Auto. Unsere Freundin Bernadette rief dann
gerade an, Junior und sie sprachen dann die ganze Zeit über den Unfall und
Felix war gestresst, um anzukommen. Ich muss zugeben, ich war ein bisschen
genervt. Warum mussten sie beide jetzt darüber reden. Mir als Europäerin war
das Ankommen wichtiger.
Als wir aber
dann da waren, begriff ich, wie wichtig das WIE hier ist und die gute Relation
untereinander. Zwar musste sich der Minister entschuldigen, aber dafür waren
zwei andere Männer da. Der eine kannte sehr gut den jetzigen Kopf der Petits
Frères und hatte sich gerade am Tag zuvor mit ihm wegen einer anderen Sache
getroffen. Da war das Eis schon längst gebrochen. Der zweite Mann ist selbst
Professor an der Privatuni Quizcaya, zu deren Direktor Felix ein tolles
Verhältnis aufgebaut hat. Im Auto gibt mir Felix einen kleinen Ratschlag: „Du
darfst hier nie auf deine Ansicht pochen, auch wenn du dreimal Recht hast. Es
geht hier darum, miteinander gut auszukommen.“
Er verrät mir
auch, dass hier die Familie heilig ist. Man würde niemals schlecht über
jemanden aus seiner Familie reden. Selbst wenn der Bruder gestohlen hat, würde
man ihn nicht verraten. Lieber würde man versuchen das in irgendeiner Weise
auszugleichen, aber den guten Ruf des anderen würde man nicht beschmutze.
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