Mittwoch, 21. Juni 2006

Norwegen

Mit 5 Leuten in einem Wagen und vielen Lebensmitteln im Kofferraumgeheimfach, gings von Skövde aus Richtung Oslo um in 10 Tagen Norwegen kennenzulernen, eines der landschaftlich beeindruckendsten Länder, die ich bisher gesehen habe.









Zur Stadt Oslo kamen wir nicht sondern fuhren zur Hardangervidda, ein Gebiet in dem die größte wilde Rentierherde Norwegens mit zirka 15.000 Tieren lebt. Vier riesige Wasserflle haben unseren Weg gesäumt.
Die kleinen Männchen da unten auf dem Bild sind zwei meiner Mitreisenden.
Weite Landschaften, tiefe Stille. Keine Menschenseele ist auszumachen.

Nach einem viel zu kurzen Tag auf der Vidda ging es dann in die Hafenstadt Bergen. Mit ca. 260.000 Einwohnern ist es die zweitgrösste Stadt Norwegens. Sie ist in mehreren Stadtbränden im 18. und 19. Jhdt fast komplett abgebrannt (Holzbauweise) und im 2 WK grossflächig zerstört. Die rote Häuserzeile wurde nach originalen Plänen aus dem 12. Jahrhundert wieder aufgebaut.




Delphinfleisch, Walfleisch, was darfs sein?

Nach knapp zwei Tagen in Bergen kamen wir zum Naeroyfjord. Nur die Autofahrt dorthin war ein Genuss. 


Dort angekommen schlugen wir unsere Zelte auf. Kalt war es in dem schattingen Fjord, umgeben von hohen Bergen.  
Am nächsten  Tag machten wir eine Wanderung mit schönen Aussichten....

....und Eiskratern




Am selben Abend ging es zum wunderschönen Aurlandfjord, mein Favourite!




Dann war ein bisschen Action angesagt: eine Gletscherwanderung und Kajaktour.


Und schließlich erreichten wir die Vogelinsel Runde, die für ihre Papageientaucher-Kolonie bekannt ist. Runde hat die einzigen grossen Vogelklippen von Südnorwegen mit der grössten Anzahl unterschiedlichen Arten des Landes. Die Insel ist nur 6,4 km² gross und hat etwas über 150 Einwohner, also sehr überschaubar.


Zu guter letzt traten wir den Rückzug Richtung Schweden an. Nach dem Geyrangerfjor besuchten wir die Olympiastadt Lillehammer und bekamen erstmals Elche zu sehen!

Jantelagen

Nun kommt etwas wirklich Interessantes:

Ich fragte mich nämlich lange Zeit warum denn die Schweden schweigsam sind, warum sich jemand im Chor von mir weggesetzt hatte, nur weil er Angst hatte mit mir Englisch sprechen zu müssen.
Diese große Unsicherheit bemerkt man ständig.

Ich sagte zu jemandem in meiner Theatergruppe "Na, was sprichst du denn für ein tolles Englisch. Hast du einmal in England gelebt?". Wie ein erschrecktes Reh wich er zurück und war kaum in der Lage mir zu antworten, eeinfach nur, weil ich ihn angesprochen habe.
Und ich frag mich nur, was denn mit ihnen los ist?
Sie sind so schön, die Schweden.  Warum sind sie nicht selbstbewusster?

Ich sprach mit vielen Leuten darüber bis mir dann eine Schwedin selbst den entscheidenden Hinweis lieferte.
Auf der Busfahrt zu einem Chorauftritt erzählte sie mir vom "Jantelagen". Ich befasste mich längere Zeit mit dem Thema und fand folgendes heraus:

In der skandinavischen Gesellschaft ist über Jahrhunderte eine Einstelung gewachsen, die besagt, dass alle gleich sind.
Der dänisch-norwegische Schriftsteller Aksel Sandemoseiese beschreibt in seinem Buch "Ein Flüchtling kreuzt seine Spur"  diesen nordischen Zug.
Seine Geschichte spielt in der fiktiven Stadt Jante, die ihre Bewohner mit dem Gesetz von Jante,
dem "Jantelagen" zu unterdrücken versucht.

Und so heißt es:

* Du sollst nicht glauben, dass du etwas bist.
* Du sollst nicht glauben, dass du schlauer bist als wir.
* Du sollst nicht glauben, dass du besser bist als wir.
* Du sollst nicht glauben, dass du mehr weißt als wir.
* Du sollst nicht glauben, dass du uns überlegen bist.
* Du sollst nicht glauben, dass du zu etwas taugst.
* Du sollst nicht über uns lachen.
* Du sollst nicht glauben, dass sich jemand für dich interessiert
* Du sollst nicht glauben, dass du uns etwas beibringen kannst.

Das Buch zeigt auf, wie der Einzelne unterdrückt und an seiner Entwicklung gehindert wird, wenn er in einer Gesellschaft lebt, in der der Konformismus als Ideal gelebt wird.


Den Schweden wird schon im Kindergarten vermittelt, dass es sich nicht gehört, sich selbst hervor zu heben.
Denn die Kehrseite von: "Alle sind gleich" ist "Du bist nichts besonderes". Heb dich also nicht hervor.


Die Tendenz, nicht aufzufallen, und alles, was nicht konform ist, misstrauisch zu beäugen, wird in den skandinavischen Gesellschaften beobachtet.
Wahrscheinlich kommt daher die Abneigung sich für Andersartige, nämlich Ausländer, zu öffnen.

Und gleichzeitig haben mir viele Schweden gesagt, dass sie unter der eigenen Schüchternheit und dem Koformismus leiden.

Der Ursprung dieser gesellschaftlichen Besonderheit

Es gibt wahrscheinlich mehrere Gründe und viele Theorien, warum sich eine solche Mentalität der Konformität über Jahrhunderte entwickelt hat.
Ich habe mir folgendes überlegt:

Ein Grund dafür liegt wahrscheinlich in der Religion. Die Gleichheit vor Gott wurde womöglich von den fundamentalen, pietistischen Religionsgemeinschaften des 16. und 17. Jahrhunderts, die sich von der lutheranischen Kirche abspalteten, ein bisschen zu ernst genommen.

Vielleicht liegt der Grund auch in der jahrhundertlangen agrarischen Lebensweise der Schweden. Als Bauern wohnte man in kleinen Gemeinschaften, die sich gegenseitig vor dem Untergang in der unwirtlichen Natur schützten. Ragte da einer aus der Gruppe heraus, war sein Leben gefährdet.

Eine weiterer Erklärungsansatz hat mit dem bisherigen Fehlen von Subkulturen in Skandinavien zu tun. Der geringe Kontakt zu Fremden, die Unsicherheit Ihnen gegenüber und der daraus folgende Rückzug in die "sichere" schwedische Einheit.

Bedeutung für die Gesellschaft

Eine positive Bedeutung für die Gesellschaft hat das Jantelagen durchaus. Der schwedische Sozial- und Fürsorgestaat hängt beispielsweise mit dieser Grundeinstellung zusammen. Auch die Gleichstellung von Mann und Frau ist viel weiter fortgeschritten als in Deutschl. Das Wort "Hausfrau" existiert als solches nicht mehr und selbst die Kindererziehung wird nicht mehr mit der Rolle der Frau assoziert.
Dass Schweden in der Pisa-Studie so gut abgeschnitten hat, mag auch damit zusammenhängen. Keine Eliten werden gefördert sondern die Gesamtheit der schwedischen Schüler.
Weiter geht es natürlich in geschäftlichen Diskussionen sowie im sonstigen Alltag ganz entspannt und ruhig zu. Keiner produziert sich um mit Macht oder Geld seinen Willen durchsetzen.

Obgleich die Mentalität des Konformismus diese positiven Auswirkungen hat, sind viele Schweden nicht glücklich in ihrer Kultur zu leben.
Um aus den Normen auszubrechen, muss so viel Alkohol getrunken werden, dass jede Grenzüberschreitung entschuldbar wird. Wenn dann die Samstagabende kommen, an denen die Hüllen fallen gelassen werden dürfen, gibt es keine Hemmungen mehr.
Manche leicht bekleideten Frauen starten dann mit den lüstigen Herren auf der Tanzfläche der Disko dann kleine Orgien.
Wirklich irritiert war ich bei der "Kinky-Disko" (Fetisch-Party).

Dass nur mit einem Lederstring und Halsband bekleidete Leute als Hunde durch die Gegend geführt wurden, war noch harmlos. Die harmlose Studnetenkneipe wurde zu Lack und Leder-Orgie. Einen Abend heißt es also, alles machen zu dürfen, was sonst verboten ist. Man ist ja betrunken, der Rahmen ist fest.
Das Lustige ist halt, dass man die Leute am nächsten Tag ganz still und schüchtern durch die Uni laufen sieht und sie so tun, als ob sie einen nicht kennen.

Religion in Schweden

Nur 23 Prozent der Schweden geben zu an einen Gott zu glauben. Nur Tschechien und Estonia könnten ihre atheistischen Flaggen höher hissen, heißt es in der Zeitung THE LOCAL.
Interessanterweise ist die Kirche dafür sehr in den Alltag eingebunden.
Die Hochschulpastorin hält bei jedem feierlichen Anlass eine Predigt,die Ehrung von Stipendianten und die feierliche Zeugnisvergabe der Krankenschwestern und -pfleger (die unser Högskolans-Chor musikalisch untermalte) finden in der Kirche statt. Und obwohl niemand in die Kirche geht, können sie alle Psalm 202 auswendig.....?

Die Menschen















Die Schweden, sind wie ihr Land, sehr sehr ruhig. Sie sind unglaublich höflich und immer immer freundlich. Diese Ruhe mag für uns aber schon fast zugeknöpft wirken. Man hat den Eindruck, die soziale Ader der Schweden sei weniger ausgeprägt: Auf der Straße grüßt man sich nicht, noch blickt man sich in die Augen, eine Begrüßungsumarmung ist unüblich.

Es ist nicht nur mein subjektiver Eindruck, dass es schwierig ist mit Schweden eine Freundschaft oder wenigstens eine Bekanntschaftaufzubauen.
"Das liegt am langen, kalten Winter!" hört man so oft.

Und in der Tat ist man ja auch ziemlich zugeknöpft, um die Kälte nicht unter die Jacke zu lassen...
Der Sommer ist dann etwas ganz Wichtiges für die Schweden. Er wird in der Valpurgisnacht mit Liedern begrüßt und im Midsommarfest gefeiert. Auch die Menschen selbst sind in dieser Jahreszeit wie verwandelt, so dass ich mich wunderte und freute als ich eines Tages auf der Straße gegrüßt wurde!
Der Sommer war ja da.
Aber warum das so ist, dass die Südländer offener sind und die Skandinavier so verschlossen habe ich in seiner Tiefe bis jetzt noch nicht begriffen. Weil das Leben in der Kälte mehr Energie kostet?
Weil sich das Leben im Süden mehr auf der Straße abspielt? Dadurch verpflichten sich die Leute nicht dazu jemanden in Ihr persönliches Leben einzulassen, weil ja der Kontakt am öffentlichen neutralen Orten geschieht?

Schweden



Schweden ist ein vorzügliches Land zum entspannen. Selbst in den drei größeren Städten Stockholm, Götheborg und Malmö ist es noch ruhig ... und auf dem Land (und eigentlich ist ja alles Land) ist es so ruhig, dass man kaum mehr als ein paar Vögelchstimmen lauschen kann.
Es ist ein Lander der Seen, mit wenigen Menschen, hellen Birkenwälder und überall Blumen. Einfach friedlich....




Warum Schweden?

Vor 2 Jahren bin ich schon einmal durch das schöne Schwedenland gereist und hatte mich von Anfang an heimisch gefühlt. Wie in einem Märchenbuch erschien mir das Land mit den kleinen roten Häusern auf grünen Hügeln, weißen Birken und ruhigen Seen. Und so wollte ich noch einmal dorthin. Diesmal aber für längere Zeit, um die Kultur und die Menschen wirklich zu erleben.
Ich legte mir also mein Studium so, dass ich im 6. Semester nur noch meine Bachelor-Arbeit zu schreiben hatte. Die schrieb ich dann von Januar bis Juni 2006 in Skövde.
Dass der Kontakt mit den Schweden so schwierig werden würde, hätte ich mir nie erträumen lassen. Ich dachte, wenn man nur will, geht alles. Ich wollte es wirklich und trat in den Uni-Chor, in eine Theatergruppe ein, machte Karate und tanzte. Obwohl ich offen auf die Schweden zuging, war es trotzdem schwierig Kontakte zu schließen...
Dennoch war es höchstinteressant sich an dieses schöne Land, dessen Bewohner und deren Mentalität heranzutasten.
Und damit ich nicht all die Eindrücke nur in meinem Kopf vergessen werden, möchte ich sie mit euch teilen. Vielleicht kann der eine oder andere etwas davon mitnehmen.