Samstag, 12. Mai 2012

Vater Staat


Ich habe euch schon erzählt, dass in Haiti eine ganz andere Dynamik zu spüren ist als in Kuba. Zwar haben die Haitianer sehr wenig und wünschen sich natürlich ein einfacheres Leben. Sie wünschen sich Bildung für ihre Kinder und Entwicklung fürs Land. Aber die wenigsten haben den zwingenden Wunsch ihre Heimat zu verlassen, wie es in Kuba der Fall ist. Denn in Haiti gibt es keinen Staat der Deckel fest geschlossen hält. In Haiti kann man noch träumen und wer sich sehr anstrengt in der Schule und noch dazu viel Glück hat, kann es ein Stück weiter schaffen. Wenn er viel viel Geld spart, könnte er sogar auch einmal ins Nachbarland oder nach Europa.
In Kuba kann man sich auch anstrengend und sich gut einrichten, aber eine Ausreise ist kaum möglich. Das ist das eine. Zum anderen werden die Kubaner aber auch zu einem Obrigkeitsgehorsam erzogen, vielleicht kann man es auch Passivität oder Schicksalsergebenheit nennen, denn jedes Aufbegehren ist verboten.
Und Vater Staat kümmert sich ja um alles. Die Bildung, die Arbeit, die Freizeit. Er teilt Wohnungen zu und verteilt Medikamente. Im staatlichen Fernsehen laufen nicht nur gute, anti-kapitalistische Filme sondern pädagogische Unterbrechungen (Leute, spart Energie, Kinder geht nach draußen spielen, keine Macht dem Alkohol, usw.), anstelle von den unsrigen Werbesendungen. Der Staat subventioniert auch den Sport, die Musik und alles scheint perfekt durchdacht. Jeder wird in seine Bahnen geleitet und ist aufgehoben im sozialen Gefüge.
Aber da ist eben ein Denkfehler: ein Mensch, der so gebildet ist, möchte irgendwann für sich Verantwortung übernehmen und selbst entscheiden, wo er lebt, was er sich im Fernsehen ansieht und im Internet schauen, was sonst noch auf der Welt passiert und was der Staat evtl. nicht zeigen möchte.
Plattenbauten in Sagua

Und so sitzen die Kubaner in ihrer Kiste und hämmern gegen den Deckel anstatt ihre Energie in ihr Land zu stecken. Raus, will jeder ohne zu wissen, dass auch das Leben woanders nicht nur golden ist. Aber das wissen sie ja nicht, diese unglücklichen Bewohner der Karibik.

Aufgepasst!


In Kuba lernt man nicht nur theoretisch von klein auf, was es heißt ein Revolutionär zu sein, sondern wird auch praktisch sehr konkret in den CDRs zu revolutionären Aktionen motiviert. Die CDR, sind die Komitees zur Verteidigung der Revolution und integrieren die gesamte Gesellschaft in ihren Strukturen. 
"Revolution - Schule, Arbeit, Gewehr"
In jeder Bauernsiedlung, in jedem Häuserblock der Stadt, auf jedem zweiten Stockwerk der Hochhäuser Havanas gibt es ein Komitee. Insgesamt mindestens 70 000 auf der ganzen Insel. Diese Komitees sind vernetzte Nachbarschaftsorganisationen, die als Verlängerung des staatlichen Wirkungskreises für Recht und Ordnung sorgen. Sie gelten als Kontrollorgan der einzigen legalen Partei Kubas, der kommunistischen Partei Kubas und dienen als engmaschiges Informations- und Sicherheitsnetz. Sie sollen ihre Nachbarn überwachen und bewachen, betreuen und ermahnen, sie sollen agitieren und organisieren. 
"Die Freiheit wird durch die Schärfe der Machete erobert"

"Rebellisch gestern, gastfreundlich heute, heorisch für immer"
Die CDR-Mitglieder bewachen ihre Häuser auf nächtlichen Patrouillengängen gegen Konterrevolutionäre und Einbrecher. Doch sie beobachten auch, ob ein Hausbewohner mit verdächtigen Paketen heimkommt oder oft fremde Besucher empfängt.
Die Blockwarte der Revolution werden ihrerseits durch eine straffe hierarchische CDR-Organisation kontrolliert.
In sozialistischer Grundeinstellung organisieren die CDR flächendeckendene Impfkampagnen, sie kümmern sich um die älteren Mitbürger und sollen als kommunikatives Bindeglied zwischen dem Proletariat und den staatlichen Organen fungieren und beispielsweise Beschwerden weiterleiten.  Nicht zuletzt wird die Bevölkerung von den CDR für die politischen Ziele der Revolution mobilisiert.
"Die Einheit der jungen Kommunisten muss sich über ein einziges Wort definieren: die Vorhut"
Neben Gruppenaktivitäten für jede Altersgruppe finden immer wieder Aktionen zur ideologischen Auffrischung statt. Dann werden gemeinsame Schilder gemalt, die an die Revolution und die Führer Kubas erinnern. Und die Erziehung sitzt so tief, dass wohl kaum ein Kubaner schlecht über die Nationalhelden sprechen würde. Sie gelten als unantastbar und werden verehrt. Der kubanische Jesus im Plural.
Interessanterweise wird auf öffentlichen Veranstaltungen, zumindest in manchen abgelegenen Städten wie Baracoa, kaum mehr über die Revolution gesprochen. Zufällig war ich da, als der Karneval in Baracoa gefeiert wurde. Abends wurde er auf der Bühne vom Bürgermeister offiziell eröffnet. Und er begann so: "Liebe Mitbürger von Baracoa, ich darf endlich wieder den Karneval eröffnen. Blabla.." Kein Kameranden und Kameradinnen, kein einziges Mal "Viva la revolucion", weder Fidel noch Che wurden namentlich genannt. Ich hätte auch in Spanien sein können. 
Ueber die regionalen Unterschiede in Kuba werde ich später noch berichten.
Karneval in Baracoa





Wunsch nach persönlicher Entwicklung


Statt immer wieder die Geschichten von 1956 aufzuwärmen, wünschen sich die Kubaner den Fortschritt. Wunderbar ausgebildet, möchten sie die Welt auch einmal mit eigenen Augen sehen, als nur auf der Mattscheibe. Sie wollen sich ein schönes Haus bauen, vielleicht ein Auto kaufen oder einmal in den Urlaub fahren statt an der Front zu kämpfen. Aber reisen dürfen nur die Touristen.
Und hier kommen wir zur zweiten Diskrimination im eigenen Land:
Die Kubaner müssen in ihrem Land die Kunst des Überlebens vortrefflich beherrschen um mit dem wenigen Geld, das sie verdienen, über die Runden zu kommen. Wer beim Staat angestellt ist und kein kleines Geschäft nebenher macht, bekommt sein Gehalt in der einheimischen Währung, der Moneda Nacional. Davon kann er sich Obst und Gemüse, Reis und Brot kaufen. Essig jedoch gibt es nur in Geschäften für die Devisenwährung, dem kubanischen Wechselpeso (CUC).
Sie wurden seit der Spezialperiode ab Anfang der 1990 eingerichtet, als Kuba eine schwere Wirtschaftskrise erlebte. Nach dem Zerfall der Sowjetunion, als einzigen Handelspartner und den seither ausbleibenden Lebensmittel- und Öllieferungen, musste die Bevölkerung alle Reserven mobilisieren und litt nicht selten unter Hunger. Aufgrund der folgenden Unterernährung beschloss die Regierung 1993 einen dreistufigen Plan zum Konjunkturaufschwung, der unter anderem den Aufbau des Tourismussektors beinhaltete und– in kleinen Nischen- erstmals eine Marktwirtschaft erlaubte.
Um Geld ins Land zu holen, eröffnete der kubanische Staat die Devisen-Läden. So gab er den kubanischen Mitbürgern, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland bekamen, eine Möglichkeit, ihre Devisen auszugeben. Der kleine Luxus wie Thunfisch, Deodorant und Essig, werden hier verkauft aber auch Seife und andere wichtige Dinge.
Erdnussverkäufer
Die hierdurch entstandene Doppelwirtschaft hat das Klassensystem wieder aufleben lassen, welches die Revolution hatte abschaffen wollen.
Diejenigen, die es schaffen Geschäfte mit Reisenden zu machen und dadurch an Devisen kommen, können also in den entsprechenden Läden einkaufen. 
Wer aus irgendeinem Grund auf den staatlichen Mindestlohn von 10 CUC (umgerechnet 7,60 Euro), kann man sich das nötigste kaum kaufen. Denn schon die Flasche Essig kostet 3 CUC, eine Dose Bier 1 CUC und die Turnschuhe 60 CUC. Ein T-Shirt bekommt man für 10 CUC und ein Stück Seife für einen halben CUC.
Unter diesen Bedingungen müssen die Kubaner Wege finden um ihr staatliches Gehalt ein wenig aufzupäppeln. Manche haben das ganz aufgegeben und beschränken sich nur auf die Dienstleistung.  So lerne ich einen jungen Mann kennen, der Kommunikation und Mediendesign studiert hat. Weil er davon niemals überlebe könnte, verkauft er stattdessen Erdnüsse.


Welches Potential der Staat da gerade vergeudet, ist ihm bei all dem wahrscheinlich sogar selbst klar. Oder nicht?

Die Flügel sind gestutzt



Wer in Kuba lebt, muss stets Obachten auf die dort herrschenden Regeln haben denn das kubanische Leben ist voller Verbote: 
Nur mit Einladung und unbezahlbarem Visum kann man ins Ausland zu reisen, es ist nicht gern sehen, wenn ein Kubaner mit einem Touristen redet und die Nutzung des Internets ist nicht erlaubt und einen Ausländer zum Flughafen zu fahren, ist verboten. Die Post wird geöffnet, Emails gelesen und Telefonate abgehört. Wer nicht zu den Aktivtäten des CDR (Komitees zur Verteidigung der Revolution) kommt, gilt als Revolutionsgegner und man spürt immer wieder die Macht des unberechenbaren Staates sowie der seiner Handlanger, der Polizei. 
Die Kubaner leiden darunter natürlich viel mehr als die Touristen. Sie müssen schnell mit hohen Strafen und Vermerken in der Staatsakte rechnen, was wiederum weitere Schwierigkeiten in der Zukunft nach sich zieht. Man kann dabei ohne Zögern von einer Diskriminierung im eigenen Land sprechen.
Auch als Touristin habe ich diese staatliche Willkür mehrmals zu spüren bekommen. Einmal radelte ich mit zwei Freunden eine Straße ich in Baracoa entlang. Wir hielten am „Honigfluss“ mit einer schönen Brücke und schauten ein wenig auf das Wasser. Wenige Minuten später kommt ein Staatsbeamter und verweist uns des Ortes: Wir sollten verschwinden, dies sei nicht touristisches Gebiet.
Aha, wo steht das und was ist „touristisches Gebiet?“
Holzbrücke über den Honigfluss in Baracoa, leider dürfen wir nicht bleiben

Ein anderes Mal fahre ich mit einem kubanischen „Bus“. Das ist LKW mit 4 Bankreihen auf der Ladefläche, in dem die Leute zusammengequetscht sitzen und stehen. 5 Stunden dauert die Fahrt.
So reisen die Kubaner
 Ich tarne mich mit einem Kopftuch um bei der Polizeikontrolle nicht gleich als Ausländerin erkannt zu werden und womöglich mitten auf der Strecke herausgeworfen zu werden. Immer spürt man eben ein wenig Angst.


Erinnert uns an einen Viehanhänger, ist aber der einzige Transport

 Aber die Kontrolle lässt etwas nach. Früher wurde jeder Schritt des Touristen überwacht und am Tag der Ausreise wurde man telefonisch daran erinnert, das Land auch wirklich zu verlassen. Heute werde ich auch am Flughafen ausgehorcht, meine Wohnadresse in Kuba wird notiert und meine Reisepläne. Sobald ich mit dem Bus fahre oder in einem neuen Haus wohne, werden meine Daten an die Einwanderungsbehörde weitergegeben. 
 Insgesamt ist es aber doch ein klein wenig besser geworden. Ich koche mit anderen Couchsurfern, so etwas wäre früher nicht möglich gewesen. Damals durften sich die Kubaner mit den Touristen nicht einmal unterhalten.
"Willst du nicht Patin meines Kindes sein?"
Für die Kubaner ist es trotzdem schlimm. Wie schlimm, habe ich erst nach einiger Zeit begriffen.
„Willst du mich nicht heiraten?“, „Möchtest du nicht die Patin meines Kindes sein?“, „Kannst du mir bitte eine Einladung schreiben?“ werde ich immer wieder aufs Neue gefragt. 
Junge Mädchen heiraten alte Männer, junge Männer heiraten alte Frauen und jeder ist bereit sich zu verkaufen um nur heraus zu kommen. 
Strand in Siboney, Nähe Santiago

Warum denn nur? Ihr habt ein schönes Land mit Palmen und Meer. Ihr geht kostenlos zur Schule und könnt studieren, was ihr wollt. Ihr habt Strom, Wasser und Fernsehen. Was braucht ihr mehr? Warum wollt ihr unbedingt weg?
In Haiti geht es den Leuten viel schlechter und die wenigsten wollen Haiti verlassen. Stattdessen wollen sie Hilfe um ihre Heimat aus eigener Kraft und mit fremder finanzieller Hilfe, aufzubauen. So etwas ist in Haiti auch möglich, weil es keinen Staat gibt, der überall versucht den Fortschrittsbestrebungen zu bremsen wie hier. Stattdessen versucht er die Menschen in der Vergangenheit behalten. Nach 50 Jahren werden immer noch Aufschriften zur Revolution gemalt. Überall in Havanna hängen riesige Plakate von den 5 kubanischen Spionen, die widerrechtlich von den USA festgehalten wurden. Vor 11 Jahren. Aber immer noch heißt es: „Wir müssen sie rächen! Revolution. Auf Kameraden, an die Waffen!“.

Im goldenen Käfig



Von Haïti kommend kommt mir Kuba wie ein Paradies vor. Da gibt es Straßen mit Straßenlaternen,  Häuser inklusive Strom und fließendem Wasser. Die Menschen sind gebildet, sprechen mehrere Sprachen und kennen sich in Politik, Geschichte und Geographie bestens aus. 
Die Atmosphäre ist entspannt, man schwätzt miteinander auf der Straße, Musiker spielen auf den Plätzen alles wirkt sehr friedlich. 

Sobald ich mich mit den Leuten unterhalte, bekomme ich den Missmut zu hören. 
Sie seien unglücklich, gefangen, arm. Ständig mit dem Reichtum und der Freiheit der Touristen konfrontiert, fühlen sie sich als zweitklassig in der scheinbar klassenlosen Gesellschaft.

Meine kubanischen Freunde lernen Fremdsprachen, sind fleißig und würden gerne hart arbeiten um ihre Träume zu verwirklichen. Aber in Kuba ist Träumen nicht erlaubt.

Sonntag, 8. April 2012

Von Haïti nach Kuba


So wie einst die 30 000 flüchtenden Zuckerplantagenbesitzer, mache auch ich mich auf den Weg von Haiti nach Kuba. Nur mit dem Flugzeug und nicht mit dem Schiff, wie meine Vorgänger. Diese hatten sich vor der haitianischen Revolution und dem blutigen Freiheitskampf in Sicherheit gebracht. Die haitianischen Sklaven, die unter menschenunwürdigen Bedingungen Zuckerrohr ernten mussten, erhoben sich im Jahre 1791 gegen das französische Regime und traten den Kampf für die Freiheit an. Die kubanischen Sklavenhalter waren von den Geschehnissen der Nachbarinsel sehr beunruhigt und zögerten die Emanzipation von Spanien sowie die Abschaffung der Sklaverei noch bis 1886 heraus.
Die französischen Flüchtlinge brachten ihre Kultur mit nach Kuba, ihr Know-how und ihr Savoir vivre.
Ich bin gespannt darauf.  In einem Land, in dem der Sozialismus viele Dinge verbietet oder schlecht erreichbar macht, werde ich für die nächsten zwei Wochen auf das Internet verzichten und verabschiede mich zunächst einmal um euch später zu berichten.