Donnerstag, 8. März 2012

erste impressionen

Liebe Freunde,
Ich schreibe euch direkt, um die Eindrücke nicht zu vergessen. Die kommenden 6 Wochen in eine kleine Erzählung zusammenzufassen, wird nämlich unmöglich.
Ich dachte, ich würde Haiti anders wahrnehmen, als beim ersten Mal aber die Gefühlean den bestimmten Orten sind wie beim letzten Mal. Wieder kommen wir nach einem viel zu langen Flug am Flughafen an. Dieses Mal werden wir, neben der warmen Luft,  auch von einer Band begrüßt, und wir haben Lust auf die Karibik. Nachdem wir eine Stunde um unser Gepäck gekämpft haben und unsere ersten Brocken créole geübt haben, geht’s mit Frère Denis durch Port au Prince. Wenn ich die endlosen Straßen voller kleiner Hütten sehe, weiß ich wieder, warum hier vieles scheinbar so langsam vor sich geht. Mir sind die Worte einer luxemburgischen Lehrerin im Kopf, die den Wiederaufbau nach dem Erdbeben mit der Arbeit der Trümmerfrauen nach dem zweiten Weltkrieg vergleicht. Damals, als die Leute zugepackt und in Windeseile ihre Städte wieder aufgebaut haben. Warum wäre das in Haiti nicht so, sitzen die Leute nur faul herum und warten auf die Spenden aus Europa?“
Wenn ich also hier langfahre, fehlen mir fast die Worte, um dieser Lehrerin die Situation zu erklären. Also faul ist hier niemand. Wirklich niemand, denn dann könnte eroder sie nicht überleben. Eigentlich ist eher das Gegenteil der Fall. Nur weil die Leute so kämpfen, leben sie noch. „ich schlag mich durch“ ist die Antwort auf die Frage: „Wie geht’s“. Es geht hier in erster Linie nämlich nicht um den Wiederaufbau sondern um das Ãœberleben jedes einzelnen Tages. Wo bekomme ich Wasser her, wo das Geld für etwas zu essen. Wie schicke ich meine 10 Kinder in die Schule, wie ernaehre ich sie, wie halte ich sie gesund. Woher kaufe ich ihnen Kleider, und wie bekomme ich das Geld für etwas Kohle um darauf zu kochen. Oder einfach: wo gehe ich auf die Toilette? 
 
Die kleinen Hütten aus Blech sind durch die Plastikplanen der amerikanischen Organisation USAID zwar ein klein wenig regengeschützter geworden. Aber eigentlich auch nurfür die erste halbe Stunde. Danachnämlich durchringt das Wasser den Erdboden und man bekommt trotzdem nasse Füße. Es geht den Leuten durch diese Hilfe also nicht merklich besser. Diejenigen, die ihr Leben lang auf ein Betonhaus gespart haben, haben dieses beim Erdbeben verloren. Bewohnbar ist es nicht mehr, wegen der Einsturzgefahr. Es abzureißen kostet eine Unsumme und für einen Neuaufbau ist kein Geld da. Wer irgendwie kann, hat natürlich schon längst angefangen, sein Haus wieder aufzubauen. Hier wartet keiner auf die NGOs, denn die bauen höchstens eine Schule. Aber es bekommt nicht jeder ein Haus hingestellt.
Die Vorstellung der Europäer ist so verdreht. Kommt mein Geld wirklich an? Werde ich immer wieder auf meinen Vorträgen gefragt. Aber was sind ein paar Millionen Euro für den Aufbau von einem kompletten Land, dass über Jahrhunderte Spielball von den Kolonialmächten war und aus dem die Kraft, sich etwas aufzubauen ausgesogen wurde. Ein Land, das als Strafe für seinen Mut und seinen Freiheitskampf (erste freie schwarze Republik der Welt) systematisch kaputt gemacht wurde? Von einem Land das kein Wasser, keinen Strom, kaum Straßen, keine Alternative zur Holzkohle hat und dadurch zu einer Abholzung gezwungen ist, die Naturkatastrophen heraufbeschwört. Wir können wir erwarten, dass in Haiti nun alles vorangeht, wenn wir ein paar Euro rüberschicken? Ein Land, das keine stabile Politik hat, damit auch keine Wirtschaft und eine Arbeitslosigkeit von fast 100 Prozent wenn der informelle Sektor nicht wäre und sich die Leute durch den Verkauf von Kleidern aus den europäischen Kleidersäcken über Wasser halten würden.
Und doch geht es ein wenig voran. Im Vergleich zum letzten Jahr liegt weniger Müll auf der Straße und im Kanal. Eine Straße wird erneuert. Und wir haben Wasser in unserer Herberge und wohnen in dem Haus, was im Jahr zuvor noch gebaut wurde. Letztes Mal war ja die Pumpe kaputt, ihr erinnert euch. Die funktioniert nun wieder und wir haben fließendes Wasser, eine spülenden Toilette und sogar eine -zwar kalte- aber eine Dusche. Wir können jetzt sozusagen in Saus und Brause leben! Natürlich ist es einfach hier (also ein kleiner Raum mit zwei Betten). Aber es ist sauber. Das Essen ist super und die Brüder nett.
Richtig entspannen kann ich zwar nicht hier. Dafür muss ich zu viel aufpassen. Dass alles klappt, wir von A nach B und dann nach C und D kommen. Dann auch mein kleiner Film. Ich nicht von Moskitos gestochen werde, weil wir uns in Port au Prince noch im absoluten Malariagebiet befinden.
Es ist mittlerweile 5 Uhr morgens. Der Geräuschpegel hat sich mit der Uhrzeit kaum verändert. In den tausenden kleinen Hütten auf den Berghängen krähen die ganze Nacht die Hähne. Es wird Musik gemacht und einer singt ganz laut ins Tal hinunter. Vielleicht ruft er die Leute zum Gebet? Es ist lebendig hier, nimmt einen ein. Man riecht, lauscht, sieht und staunt. Es macht auch müde. Deswegen gehen wir spätestens um 20h schlafen. Dunkel ist es dann nämlich schon seit 2 Stunden. Und aufgestanden wird um 5h. Gleich geht’s los zur Schule Dufresnay in den Bergen um Port au Prince. Bis bald!

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