Mittwoch, 21. Juni 2006

Jantelagen

Nun kommt etwas wirklich Interessantes:

Ich fragte mich nämlich lange Zeit warum denn die Schweden schweigsam sind, warum sich jemand im Chor von mir weggesetzt hatte, nur weil er Angst hatte mit mir Englisch sprechen zu müssen.
Diese große Unsicherheit bemerkt man ständig.

Ich sagte zu jemandem in meiner Theatergruppe "Na, was sprichst du denn für ein tolles Englisch. Hast du einmal in England gelebt?". Wie ein erschrecktes Reh wich er zurück und war kaum in der Lage mir zu antworten, eeinfach nur, weil ich ihn angesprochen habe.
Und ich frag mich nur, was denn mit ihnen los ist?
Sie sind so schön, die Schweden.  Warum sind sie nicht selbstbewusster?

Ich sprach mit vielen Leuten darüber bis mir dann eine Schwedin selbst den entscheidenden Hinweis lieferte.
Auf der Busfahrt zu einem Chorauftritt erzählte sie mir vom "Jantelagen". Ich befasste mich längere Zeit mit dem Thema und fand folgendes heraus:

In der skandinavischen Gesellschaft ist über Jahrhunderte eine Einstelung gewachsen, die besagt, dass alle gleich sind.
Der dänisch-norwegische Schriftsteller Aksel Sandemoseiese beschreibt in seinem Buch "Ein Flüchtling kreuzt seine Spur"  diesen nordischen Zug.
Seine Geschichte spielt in der fiktiven Stadt Jante, die ihre Bewohner mit dem Gesetz von Jante,
dem "Jantelagen" zu unterdrücken versucht.

Und so heißt es:

* Du sollst nicht glauben, dass du etwas bist.
* Du sollst nicht glauben, dass du schlauer bist als wir.
* Du sollst nicht glauben, dass du besser bist als wir.
* Du sollst nicht glauben, dass du mehr weißt als wir.
* Du sollst nicht glauben, dass du uns überlegen bist.
* Du sollst nicht glauben, dass du zu etwas taugst.
* Du sollst nicht über uns lachen.
* Du sollst nicht glauben, dass sich jemand für dich interessiert
* Du sollst nicht glauben, dass du uns etwas beibringen kannst.

Das Buch zeigt auf, wie der Einzelne unterdrückt und an seiner Entwicklung gehindert wird, wenn er in einer Gesellschaft lebt, in der der Konformismus als Ideal gelebt wird.


Den Schweden wird schon im Kindergarten vermittelt, dass es sich nicht gehört, sich selbst hervor zu heben.
Denn die Kehrseite von: "Alle sind gleich" ist "Du bist nichts besonderes". Heb dich also nicht hervor.


Die Tendenz, nicht aufzufallen, und alles, was nicht konform ist, misstrauisch zu beäugen, wird in den skandinavischen Gesellschaften beobachtet.
Wahrscheinlich kommt daher die Abneigung sich für Andersartige, nämlich Ausländer, zu öffnen.

Und gleichzeitig haben mir viele Schweden gesagt, dass sie unter der eigenen Schüchternheit und dem Koformismus leiden.

Der Ursprung dieser gesellschaftlichen Besonderheit

Es gibt wahrscheinlich mehrere Gründe und viele Theorien, warum sich eine solche Mentalität der Konformität über Jahrhunderte entwickelt hat.
Ich habe mir folgendes überlegt:

Ein Grund dafür liegt wahrscheinlich in der Religion. Die Gleichheit vor Gott wurde womöglich von den fundamentalen, pietistischen Religionsgemeinschaften des 16. und 17. Jahrhunderts, die sich von der lutheranischen Kirche abspalteten, ein bisschen zu ernst genommen.

Vielleicht liegt der Grund auch in der jahrhundertlangen agrarischen Lebensweise der Schweden. Als Bauern wohnte man in kleinen Gemeinschaften, die sich gegenseitig vor dem Untergang in der unwirtlichen Natur schützten. Ragte da einer aus der Gruppe heraus, war sein Leben gefährdet.

Eine weiterer Erklärungsansatz hat mit dem bisherigen Fehlen von Subkulturen in Skandinavien zu tun. Der geringe Kontakt zu Fremden, die Unsicherheit Ihnen gegenüber und der daraus folgende Rückzug in die "sichere" schwedische Einheit.

Bedeutung für die Gesellschaft

Eine positive Bedeutung für die Gesellschaft hat das Jantelagen durchaus. Der schwedische Sozial- und Fürsorgestaat hängt beispielsweise mit dieser Grundeinstellung zusammen. Auch die Gleichstellung von Mann und Frau ist viel weiter fortgeschritten als in Deutschl. Das Wort "Hausfrau" existiert als solches nicht mehr und selbst die Kindererziehung wird nicht mehr mit der Rolle der Frau assoziert.
Dass Schweden in der Pisa-Studie so gut abgeschnitten hat, mag auch damit zusammenhängen. Keine Eliten werden gefördert sondern die Gesamtheit der schwedischen Schüler.
Weiter geht es natürlich in geschäftlichen Diskussionen sowie im sonstigen Alltag ganz entspannt und ruhig zu. Keiner produziert sich um mit Macht oder Geld seinen Willen durchsetzen.

Obgleich die Mentalität des Konformismus diese positiven Auswirkungen hat, sind viele Schweden nicht glücklich in ihrer Kultur zu leben.
Um aus den Normen auszubrechen, muss so viel Alkohol getrunken werden, dass jede Grenzüberschreitung entschuldbar wird. Wenn dann die Samstagabende kommen, an denen die Hüllen fallen gelassen werden dürfen, gibt es keine Hemmungen mehr.
Manche leicht bekleideten Frauen starten dann mit den lüstigen Herren auf der Tanzfläche der Disko dann kleine Orgien.
Wirklich irritiert war ich bei der "Kinky-Disko" (Fetisch-Party).

Dass nur mit einem Lederstring und Halsband bekleidete Leute als Hunde durch die Gegend geführt wurden, war noch harmlos. Die harmlose Studnetenkneipe wurde zu Lack und Leder-Orgie. Einen Abend heißt es also, alles machen zu dürfen, was sonst verboten ist. Man ist ja betrunken, der Rahmen ist fest.
Das Lustige ist halt, dass man die Leute am nächsten Tag ganz still und schüchtern durch die Uni laufen sieht und sie so tun, als ob sie einen nicht kennen.

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